Die Reise einer 520 Jahre alten Rot-Zeder von Kanada’s Westküste an die kanadische Ostküste nach Nova Scotia

In unserer letzten Ausgabe hatten wir bereits darüber berichtet, dass die Friends United Initiative die seltene Gelegenheit hatte, eine mehr als 520 Jahre alte Rot-Zeder in British Columbia zu erwerben. Ursprünglich sollte aus dem massiven Baum Bauholz gewonnen werden, nun aber werden aus diesem enormen Stamm zu einem großen Teil Totempfähle gefertigt. Zwei große Stammabschnitte dieses mächtigen Baumes wurden in der kanadischen Provinz British Columia verladen und auf die über 6000 km lange Reise, von Kanada‘s Westküste nach Nova Scotia, an die kanadische Ostküste geschickt. Den entsprechenden Artikel aus unserem letzten Magazin können Sie gerne bei Interesse auf unserer Magazin-Internetseite unter www.adventure-canada-east.com lesen. Hier auf Cape Breton wird der indigene Künstler Gerry Sheena, der ebenfalls aus British Columbia stammt, aus dieser Rot-Zeder sieben Totempfähle schnitzen.

Nach 10-tägiger Fahrt auf dem Trans Canada Highway

war es dann endlich soweit und wir konnten an einem leider etwas kühlen und trüben Märztag diese besondere „Fracht“ hier in Auld’s Cove in Empfang nehmen. Die Fotos der Baumstämme, die wir von unserem Freund Luke Redmond aus British Columbia vor der Abreise erhalten hatten, waren bereits sehr beeindruckend gewesen. Diese besondere Fracht nun jedoch mit den eigenen Augen zu sehen, verschlug mir im ersten Moment dann doch die Sprache. Ich habe bisher noch nie einen so großen und massiven Baumstamm gesehen. Rolf Bouman, Gründer der Friends United Initiative, war gut vorbereitet und hatte bereits „schweres Gerät“ wie beispielsweise Kran und Radlader organisiert, um diese jeweils mehrere Tonnen schweren Baumstammabschnitte zu entladen. Trotzdem brauchte es einiges an Zeit und auch an Geschick und Muskelkraft, um diese Stämme unbeschädigt abzuladen und an Ort und Stelle sicher zu platzieren. Wir alle packten tatkräftig mit an und unterstützten Gerry Sheena, so gut wir konnten, bei dieser ungewöhnlichen Herausforderung. Für mich war dies ein tolles Erlebnis und eine bleibende gute Erinnerung, zumal Elena Paul diesen besonderen Tag mit ihrer Kamera festgehalten hat. Eine (leider nur) kleine Auswahl ihrer Fotos zeigen wir Ihnen gerne auf dieser und den folgenden Seiten.

Sieben gleichgroße Totempfähle

Sobald die Stämme an Ort und Stelle gesichert waren, wurden diese von Gerry vermessen und in sieben gleichgroße Abschnitte unterteilt. Zuerst jedoch kappte Gerry die Enden der Stämme, um gerade und ebene Schnitte zu erhalten. Abgesehen vom anfallenden Sägemehl werden alle Teile des Baumes verarbeitet und auch diese Baumscheiben-Abschnitte wird Gerry verwenden, um hieraus in der Zukunft Holzmasken und andere kunsthandwerkliche Gegenstände zu fertigen. Bei allen nun anstehenden Säge-arbeiten war es von großem Vorteil, dass Rolf Bouman (sozusagen in letzter Minute) ein extra langes Sägeblatt für die Motorsäge besorgt hatte. Trotzdem war das Sägen dieses Baumgiganten eine große und anstrengende Herausforderung, die Gerry Sheena aufgrund seiner Erfahrung und langjährigen Übung, mit großer Sorgfalt bewältigte.

Nach wenigen Stunden waren die beiden Stämme sauber gekappt und in sieben gleichgroße Abschnitte geteilt. Zwei dieser Abschnitte haben wir dann auf den bereitstehenden Anhänger verladen, um diese zum Friends United International Convention Centre in die „Totempfahlwerkstatt“ auf Cape Breton Island zu transportieren. Die restlichen Stammsegmente verbleiben hier in Auld’s Cove am Canso Causeway
Damm und Gerry wird, sobald er seine Arbeit an den beiden anderen Totempoles in der Werksatt beendet hat, hier in Auld’s Cove, direkt am Trans Canada Highway und unter freiem Himmel, aus diesen Stämmen weitere Totempoles fertigen.

Bevor er mit der Gestaltung des ersten Totempfahls beginnen konnte, brauchte es jedoch noch weitere Vorbereitungen. Der Baumstamm musste in Form gebracht werden, das zumeist weichere „Außenholz“ des Stammes wurde aufwendig entfernt, der gesamte Stamm wurde in eine symetrische, runde Form gebracht und erhielt an der zukünftigen Pfahlrückseite einen Entlastungsschnitt in Form eines Dreieckes. Dieser Entlastungsschnitt wird dafür sorgen, dass der Pfahl sich in den kommenden Jahren nicht zu sehr spaltet oder zu tiefe Risse bekommt. Jeder der einmal mit Holz gearbeitet hat weiß, dass dieses Material immer in Bewegung ist, vor allem, wenn es der Witterung ausgesetzt wird. Einige für diese Arbeiten notwendigen Werkzeuge musste Gerry aufgrund der enormen Ausmaße der Rot-Zeder selber herstellen, oder vorhandene Werkzeuge entsprechend ändern und anpassen. Obwohl wir heute über modernes Equipment für alle erwähnten Arbeitsschritte verfügen, brauchte es dennoch einige Zeit und vor allem auch Konzentration und Können, um ein gutes und befriedigendes Ergebnis zu erzielen. Ich spreche hier ausschließlich über die vorbereitenden Arbeiten und noch nicht über den eigentlichen Schnitzvorgang.

Viel Wissen ist verlorengegangen

Es bleibt für mich ein Rätsel, wie alle diese Tätigkeiten schon vor Jahrhunderten von den First Nations an der kanadischen Westküste bewerkstelligt wurden, auch wenn Gerry mir erzählt hat, dass die Herstellung eines Totempfahls in diesen Zeiten durchaus über mehrere Jahre dauern konnte und eine große Anzahl an Personen hierbei beteiligt war. In unserer letzten Magazinausgabe habe ich bereits kurz umrissen, dass es unterschiedliche Totempfähle in Bezug auf Schnitzstil und Bedeutung gibt. Die First Nations erstellen einen Totempfahl nicht aufgrund seiner dekorativen Erscheinung, sondern verbinden mit der Fertigung eines Pfahls immer eine besondere Aussage. Insofern erzählt jeder Totempfahl eine eigene Geschichte, hat seine ganz eigene, individuelle Nachricht und Bedeutung. Viel Wissen über die Bedeutung der in alten Zeiten für Totempfähle verwendeten Motive, Symbole und Ornamente ist über die Jahrhunderte verloren gegangen. Nicht zuletzt auch, weil die Kultur sowie die Sitten und Gebräuche der indigen Völker hier auf dem amerikanischen Kontinent über lange Zeit von den Eroberern unterdrückt und konsequent eliminiert wurden. Deswegen gibt es heute nur noch sehr Wenige, die einen Totempfahl, beziehungsweise dessen Aussage und Nachricht, lesen können.

In der Tradition der Salish-Nation

Ich liebe den Geruch von frisch gesägtem oder bearbeitetem Holz, ein weiterer Grund für mich, warum ich regelmäßig die Gelegenheit nutzte, um Gerry Sheena in seiner Werkstatt zu besuchen und den Fortgang seiner Arbeit zu beobachten. Tag für Tag und Stunde um Stunde verbrachte Gerry in der Werksatt und arbeitete an seiner Vision für den ersten von sieben Totempfählen. Er nahm sich immer die Zeit für eine kleine Pause, wenn ich wieder einmal mit einem Becher Kaffee und meistens auch in Begleitung von Elena Paul in der Werkstatt auftauchte und wir etwas über Totempfähle, seine Kunst, Kultur und die Tradition der Salish-Nation redeten. Gerry bezeichnet seinen Kunststil als zeitgenössisch, auch wenn die meisten seiner Werke sehr stark an die Tradition der Salish-Kultur und ihrer Formen, Farben und Motive angelehnt sind. Vielleicht gibt es einmal an anderer Stelle eine Gelegenheit, diesen besonderen Menschen und seinen Weg als Kunstschaffenden vorzustellen. Einen kleinen Teil davon hat Rolf Bouman in unserer letzten Magazinausgabe („Die Totempfähle von Malagawatch“) bereits angedeutet. Bei einem meiner letzten Besuche konnte ich sehen, dass Gerry bereits die ersten Umrisse der zu schnitzenden Figuren mit Bleistift skizziert hatte und an der groben Ausarbeitung der jeweiligen Form arbeitete. Alle hierfür benötigten Schnitzwerkzeuge, wie beispielsweise die verschieden großen und unterschiedlich geformten Messer, wurden extra angefertigt und können in dieser Form und Ausführung nirgendwo gekauft werden.

Das Totemtier “Bär“ steht für Mut

Es war für mich sehr beeindruckend und auch überraschend zu sehen, wie viel Mühe und Arbeit, aber auch wie viel Zeit und Aufwand es gebraucht hatte, um zu diesem Punkt zu kommen, an dem man einen ersten Eindruck, oder besser, eine ungefähre Vorstellung von dem fertigen Totempfahl erhielt. Gerry arbeitete noch über mehrere Wochen an diesem ersten Friends United Totempfahl, der “Bär“ repräsentiert, bis zur endgültigen Fertigstellung. Für die Mi’kmaw steht der “Bär” für die Tugend “Mut” und deshalb, so finden wir, ist dieses Totemtier eine gute Wahl für den ersten von sieben Friends United Totempfählen. Die Initiative setzt sich für die Versöhnung von verschiedenen Nationen und Rassen ein, insbesondere für die Versöhnung der nordamerikanischen, indigenen Völker mit den ehemaligen weißen Eroberern. Braucht es nicht vor allem Mut, um den ersten Schritt zur Versöhnung zu machen und mit offenen Armen auf einen ehemaligen „Gegner“ zuzugehen?

An einem sonnigen Morgen Anfang Juni, fast drei Monate nach Anfang der Arbeiten, war es dann soweit. Wir trafen uns in Gerry’s Werkstatt, um den fertigen Totempfahl in das Friends United International Convention Centre zu transportieren. Zu siebt und unter Zuhilfenahme von Traktor, Flaschenzügen und Muskelkraft, gelang es uns mit einiger Anstrengung, diesen beeindruckenden Totempfahl in das Convention Centre zu bringen und dort aufzurichten. Hier “begrüßt” der Bär jetzt im Eingangsbereich die Besucher und wer Zeit und Gelegenheit hat, sollte gerne einmal das
Centre besuchen und sich die vielfältige Ausstellung indigener Kunst und Kultur persönlich ansehen.